2019 werden es 50 Jahre her sein, dass sich in der Geographie beim berühmt-berüchtigten Geographentag in Kiel 1969 eine veritable wissenschaftliche Revolution ereignet hat! Das Fach Geographie hat sich seitdem gewaltig verändert — auch die Tourismusgeographie, die es 1969 als institutionalisierte Teildisziplin im Mutterfach noch gar nicht gegeben hat!
Nun fand 50 Jahre nach diesem denkwürdigen Geographentag der Deutsche Kongress Geographie vom 25.-30. September 2019 erneut in Kiel statt: Das Kongressmotto „Umbrüche und Aufbrüche. Geographie(n) der Zukunft“ nimmt Bezug zu 1969, will aber mehr noch in die Zukunft weisen.
Der AK-Tourismusforschung war mit zwei Veranstaltungen am Kongress beteiligt:
Fachsitzung: Overtourism! Ende des Tourismus, Ende der Tourismusgeographie?Overtourism! Ende des Tourismus, Ende der Tourismusgeographie? (Teil 1)
Sonntag, 29. September 2019, 08:30-10.00 Uhr, Raum: LMS6 – HS-PC
Moderation: Nadine Scharfenort & Hans Hopfinger
Beiträge in dieser Fachsitzung:
- Overtourismus-Effekte: Entstehungskontexte und Handlungsoptionen (Andreas Kagermeier / Eva Erdmenger)
- Ist der Städtetourismus noch zu retten? Zur Bedeutung touristisch-urbaner Mußeräume (Clara Sofie Kramer)
- Tourismusakzeptanz in der Wohnbevölkerung – Messmethoden und Ergebnisse (Dirk Schmücker / Bente Grimm)
- Tourismusräume im digital-ökonomischen Wandel (Hans Albers / Felix Hartenstein)
Fachsitzung: Overtourism! Ende des Tourismus, Ende der Tourismusgeographie?Overtourism! Ende des Tourismus, Ende der Tourismusgeographie? (Teil 2)
Sonntag, 29. September 2019, 10:30-12.00 Uhr, Raum: LMS6 – HS-PC
Moderation: Nadine Scharfenort & Hans Hopfinger
Beiträge in dieser Fachsitzung:
- Aneignungs- und Widerstandsstrategien in der Tourismusstadt Luzern: Ambivalenz des rasanten touristischen Wachstums in geo-historischer Perspektive (Florian Eggli / Mathis Stock)
- Overtourism und Kreuzfahrten – Fallstudien zur Nachhaltigkeitsbilanzierung in Kreuzfahrtdestinationen (Rainer Hartmann / Bernd Stecker)
- Management heiliger Stätten: Balinesische Tempel als touristische Attraktion (Stefan Küblböck)
- Overtourism! Das prekäre Verhältnis von boomendem Tourismus, instabilen Identitäten und ökonomischer Notwendigkeiten in der kubanischen Transformation (Niklas Völkening)
Podiumsdiskussion: „Quo vadis Tourismusgeographie? – Theorien, Konzepte und empirische Befunde zum Stand einer Disziplin, die 1969 noch nicht existierte“
Sonntag, 29.09.2019, 14:15-15:45 Uhr, Raum JMS2-HS-K
Leitung & Moderation: Marius Mayer (Greifswald), Nadine Scharfenort (Berlin/Muscat)
Podiumsdiskutantinnen (alphabetische Reihenfolge):
- Prof. Dr. Werner Gamerith (Universität Passau)
- Prof. Dr. Hans Hopfinger (KU Eichstätt/Ingolstadt)
- Dr. Marion Karl (University of Queensland, Brisbane/LMU München)
- Prof. Dr. Frauke Kraas (Universität Köln)
- Prof. Dr. Dieter Müller (Umeå Universitet, Schweden)
- Prof. Dr. Julia Peters (Hochschule Kempten)
Die Tourismusgeographie ist Element mehrerer Paradoxien: Während die globalen Reiseströme und deren Auswirkungen (z. B. Touristifizierung, Kapazitätsüberschreitungen) neue Höhepunkte erreichen, nimmt die Bedeutung innerhalb der deutschsprachigen Geographie gemessen an Professuren und Studiengängen ab, und die akademische Ausbildung verlagert sich auf die Fachhochschulen. Diese Entwicklung ist aus Arbeitsmarktperspektive nachvollziehbar, schwächt aber mangels Forschungsauftrages und entsprechender Ressourcen an den FHs die Disziplin als Ganzes. Obwohl auch international eine schwache Stellung der Tourismusgeographie innerhalb der Mutterdisziplin beklagt wird, hat die geographische Perspektive hingegen innerhalb der Tourismusforschung große Bedeutung erlangt. Auch wenn die Tourismusgeographie bisweilen als „theorielos“ und „wenig innovativ“ abgetan wird, fungierte sie z.B. als Vorreiterin in der Nachhaltigkeitsforschung. Auch die von der Wirtschaftsgeographie verstärkt aufgegriffene evolutionäre Perspektive ist der Tourismusgeographie lange vertraut (z. B. Destinationslebenszyklus-Modell).
Das Forschungsfeld Tourismus und Freizeit leistet als Querschnittsfach einen wesentlichen Beitrag zur akademischen Disziplin Geographie, weist internationale Fachzeitschriften mit hohen Impact-Faktoren auf, sorgt für öffentliche Aufmerksamkeit, rekrutiert Studierende, stellt ein wesentliches Berufsfeld für Absolventen dar und ist daher ein unverzichtbarer Bestandteil der Geographie, den es für die Zukunft zu erhalten und zu stärken gilt – gerade wenn man sich einer kritischen Perspektive verpflichtet fühlt und sich Fragen der ökologischen, sozialen und interkulturellen Dimension des Phänomens Tourismus, Raum- und Machtkonstruktionen, sowie raumbezogenen Diskursen widmet.
Die Podiumsdiskussion zielte darauf ab, diese Entwicklung kritisch Revue passieren zu lassen, die Binnen- und Außenansicht der Disziplin durch etablierte und jüngere ForscherInnen sowie aus internationaler Warte zu reflektieren und künftige Forschungs- und Lehrperspektiven aufzuzeigen.